Mit Konzentration zum Karatekämpfer

Von Laura Heyer; Rheinische Post Nr. 202 - Ausgabe Viersen vom 31.08.2013; Ressort: Lokales

RP-Mitarbeiterin Laura Heyer hat in Niederkrüchten ein Karate-Probetraining gemacht. Viele Sportbegeisterte hat sie dort getroffen – und ein paar Tricks zur Selbstverteidigung gelernt.
 

Niederkrüchten. Wir stehen vor Trainer Willi Oligschläger und schauen ihn aufmerksam an. „Bassai Dai", sagt er laut. Das ist Japanisch und heißt soviel wie „Erstürmen die Festung". Eigentlich wollte ich nur eine Probestunde machen. Doch zu spät: Oligschläger geht durch die Reihen, sagt „choku zuki" – und jeder macht den dazu gehörigen Fauststoß. Hunderte Male haben das die Sportler vorher eingeübt und die japanischen Begriffe dabei gelernt.


Ein bisschen fühle ich mich wie Karate-Kid auf diesem Waldparkplatz in Overhetfeld. Heute wird hier trainiert, weil die Hallen in den Ferien geschlossen sind. Alle tragen extra den Karate-Gi, die traditionelle weiße Kleidung aus Hose und Jacke. Nur überfordern mich die japanischen Begriffe – und die vielen Abfolgen von Bewegungen.
„Das sind die Grundtechniken, auch Kata genannt", erklärt mir Oligschläger, der seit den 1960ern Karate macht und auch Vereinsgründer ist. „Man trainiert sie in der Gruppe, aber auch allein, als ob man mit einem imaginären Gegner kämpfen würde."


Die Sportler sind hochkonzentriert dabei. Keiner redet oder lacht. Dass Konzentration besonders wichtig ist, lerne ich schnell – einmal zu lange auf die anderen geschaut, schon habe ich die Treffsicherheit verloren. „Jeder Schlag muss präzise und gezielt ausgeführt sein", schärft Oligschläger seiner Gruppe ein. Karate ist kein Raudi-Sport. Es geht darum, die Kraft zu kontrollieren und einen Angriff zu erkennen, bevor man in eine gefährliche Situation gerät. Jetzt geht es um die Selbstverteidigung. Jeder soll sich einen Partner suchen und einen Angriff simulieren. Zuerst langsam und kontrolliert, damit der Ablauf sitzt. Dann schnell und mit Kraft. „Eins", zählt Oligschläger, und mein Gegenüber greift mich an. Schritt nach vorn, linker Arm leicht angewinkelt nach oben vor den Kopf – und zack! Mit der rechten Faust ziele ich auf das Kinn meines Gegenübers, halte einen Millimeter davor an. Na, etwas Übung brauche ich wohl noch. Plötzlich steht Oligschläger vor mir und greift mich mit einem lauten Schrei an. All meine Muskeln sind sofort angespannt. Die Bewegungen sind noch etwas holprig, aber meine Faust stoppt präzise vor seinem Kinn. „Man muss lernen, in Stresssituationen ruhig zu sein und bewusst zu reagieren", erklärt mir der Trainer. „Deshalb schreien wir uns auch manchmal an. Dann gewöhnt man sich an aggressive Angreifer". Ich fühle mich sehr wohl in der Trainingsgruppe. Bis jetzt hat auch noch keiner belustigt zu mir rüber geschaut. „Karate ist ein individueller Sport. Jeder macht das, was seine Möglichkeiten zulassen", sagt Herbert Lamvers, 1. Vorsitzender des Vereins.

Auch die Teilnehmer beim Training sind bunt gemischt: Von 16 bis über 70 Jahre sind alle Altersgruppen vertreten. Man merkt, dass Karate für die meisten eine Lebenseinstellung geworden ist. Andrea Schnitzler erzählt mir, dass sie mit Karate angefangen hat, weil ihr Sohn an der Bushaltestelle gemobbt wurde. Heute macht auch ihr Mann Karate. „Durch die Konzentration beim Sport kann ich Stress abbauen", erzählt sie.


Zum Abschluss des Trainings stellen wir uns alle nochmals vor dem Trainer auf und verbeugen uns. Respekt ist wichtig beim Karate – vor dem Trainer, aber auch vor dem Gegner. Respekt habe ich vor allen nach dieser Trainingsstunde. Fest steht – das war bestimmt nicht meine letzte Begegnung mit Karate.


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